Rezension
Die Brillanz von Bibi Dumon Taks Tiergeschichten – nach «Kuckuck, Krake, Kakerlake» nimmt sie nun die Nord- und Südpolbewohner unter die Lupe – lässt sich unmöglich steigern. Allein schon ihre Vergleiche sind intelligent und humorvoll, die Bilder dem menschlichen Alltag entnommen, aber so passgenau, dass jedes Tier mit einer Art Urknall Gestalt annimmt: Der Moschusochse ist ein «zerzauster Tannenwald auf Hufen», der Backenbart des Luchses «gebürstet, als stünde er Tag und Nacht für einen Besuch bei der Königin parat». Jedem Tier schneidert die Autorin sein Kleid aus Schuppen, Fell oder Federn, vor allem aber aus Literatur: Es ist die Sprache, die diese Überlebenskünstler zum Leben erweckt. Entworfen wird ein Kuriositätenkabinett voller Originale, die, wenn auch mit Bildern unserer Erfahrungswelt gedeutet, nie als Modelle für menschliches Verhalten herhalten müssen.
Nachdem «Kuckuck, Krake, Kakerlake» mit dem Deutschen Hörbuchpreis belohnt wurde, baut Oetinger Audio nun den Schneebewohnern eine Bühne. Wo Dumon Tak kleine Sprachkunstwerke entwirft, lässt ein Staraufgebot deutscher SprecherInnen ihre Worte schillern. Sprache, Inhalt, Musik und Stimme gehen eine Symbiose ein, die jener des Narwals mit dem Wintermeer gleicht, in das wir mit Katharina Thalbach bereitwillig abtauchen: «Er liebt Eis. Er liebt halb gefrorenes Wasser, das ständig an seiner Speckschicht nagt. Und im Sommer, wenn alle denken ‘endlich Sonne!’, folgt der Narwal dem sich zurückziehenden Eis – als wären sie miteinander verheiratet, der Narwal und der Winter.»
Manuela Kalbermatten, Buch & Maus Heft 1/2012, S. 37