Rezension
Die Fliege-Ziege kann etwas, das die anderen Ziegen nicht können: Sie kann fliegen und sie liebt es. Dies stösst in der Herde und bei der Mutter der kleinen Ziege keineswegs auf Begeisterung. Die anderen Ziegen halten sie für eine Angeberin, die Mutter ist besorgt und schämt sich für ihr Kind. Die Fliege-Ziege beschliesst, das Fliegen zu lassen, doch lange kann sie sich nicht zurückhalten. Auf einem Nachtflug rettet sie die Ziegenherde vor dem Nachtvogel, und die kleine Ziege ist stolz auf sich. Die Herde erfährt zwar nichts davon, doch der Fliege-Ziege ist nun klar, dass sie das Fliegen nie wieder aufgeben wird. Und die anderen Ziegen gewöhnen sich daran, “dass die Fliege-Ziege anders war”.
“Die Fliege-Ziege” reiht sich unter die zahlreichen Bilderbücher zum Thema “Anderssein” ein: Es soll Kinder dazu ermutigen, “ihr Selbst zu achten” und ihre besonderen Fähigkeiten, mögen sie auch nicht als solche anerkannt sein, anzunehmen. Das Buch beschönigt nichts und löst die Schwierigkeiten von Selbstbehauptung, Abweichung, Anerkennung und Akzeptanz nicht einfach im gemeinsamen Glück auf: Der Stolz, den die Fliege-Ziege auf sich und ihre Fähigkeit zu entwickeln vermag, ist an die Rettung der Ziegen-Gemeinschaft gebunden. Auch bleibt das Unbehagen der Mutter bestehen. Sie findet das Fliegen weiterhin schrecklich, sieht jedoch ein, dass ihr Kind nicht darauf verzichten kann und freut sich, dass es ihm wieder gut geht. So bleibt zum Schluss –obwohl die Fliege-Ziege nun glücklich durch die Luft wirbelt – ein kleines bisschen Wehmut zurück.
Eine zurückhaltend erzählte Geschichte von Heidemarie Brosche, getragen von ebenso unaufdringlich-schönen Zeichnungen von Anna Anastasova.
Lou Heer